100 Prozent Menschenwürde
Kontrollen und Anfeindungen aufgrund der Hautfarbe, offener Hass im Internet. Das sind Alltagserfahrungen für viele Menschen. Darauf machen die „Wochen gegen Rassismus“ noch bis zum 28. März aufmerksam. Wer Rassismus bekämpfen will, muss gesellschaftliche Strukturen ändern. Genau daran arbeiten die Servicestellen der Integrationsagenturen. Sie werden jetzt von 13 auf 42 Stellen ausgebaut.
„Eskalierte Ticketkontrolle.“ „Rassismus-Vorwürfe nach Fahrscheinkontrolle.“ „Fahrkartenkontrolle eskaliert – Sprunggelenk gebrochen.“ Immer wieder machen rassistische Übergriffe in Bus und Bahn Schlagzeilen. „Die gezielte Kontrolle von Schwarzen Menschen und People of Color ist ein Riesenproblem, das uns immer wieder begegnet“, sagt Isabell Janik von der Servicestelle Antidiskriminierungsarbeit (kurz ADA) des Diakonischen Werks Solingen. „Ob in der S-Bahn, vor dem Club oder auch beim Arbeitsamt, uns kontaktieren Menschen, die Racial Profiling erleben. Für die Betroffenen ist das eine hochtraumatische Erfahrung.“ Sie können sich an die ADA wenden und erhalten Unterstützung.
Die meisten Servicestellen sind relativ neu. Seit 2017 wurden nach und nach die ersten 13 Stellen der Wohlfahrtsverbände in Nordrhein-Westfalen eröffnet. Anfang des Jahres sind 31 weitere dazu gekommen. Sechs davon befinden sich in diakonischer Trägerschaft. „Wir wollen die Menschen stärken“, betont Ioanna Zacharaki, Diakonie RWL-Koordinatorin der Integrationsagenturen NRW. Ziel der Servicestellen sei es, Menschen, die Rassismus oder Diskriminierung erlebt haben, unabhängig zu beraten und auf ihrem Weg der Bewältigung des Erlebten zu unterstützen.
Auch juristische Unterstützung
„Neben der Möglichkeit, die schrecklichen Erfahrungen zu teilen, vermitteln wir bei Bedarf therapeutische Unterstützung. Und schauen gemeinsam, wie es weitergehen kann“, sagt Janik. „Auch juristischer Beistand gehört zu unseren Angeboten.“ Wenige Menschen würden allerdings vor Gericht ziehen, sagt Ioanna Zacharaki. Zu groß sei die psychische Belastung.
„Das ist ein Problem für uns. Denn wenn keine oder keiner aufsteht, wird sich gesellschaftlich nichts verändern“, so die Integrationsexpertin. Unsere Gesellschaft − jeder und jede von uns − muss sich ändern. Egal, ob auf dem Arbeitsmarkt, im Bildungssektor oder im alltäglichen Miteinander, überall gibt es rassistische Äußerungen, Diskriminierungen und Vorbehalte. „Anti-Rassismus-Arbeit ist gerade jetzt extrem wichtig“, betont Ioanna Zacharaki. Die steigende Zahl Geflüchteter im Jahr 2015, die Finanzkrise und jetzt die Corona-Pandemie schafften Ängste und Verunsicherung. „Da wird schnell nach Sündenböcken gesucht. Krisen befeuern Rassismus und Diskriminierung.“
Anti-Rassismus-Training in Kitas
„Wir arbeiten systemisch und versuchen durch Sensibilisierungsarbeit die rassistischen Strukturen zu durchbrechen“, so Janik. Dafür richten sie und ihre Kolleginnen und Kollegen den Blick zunächst nach innen. „Wir schauen ganz genau hin und fragen uns selbstkritisch: Wo sind wir vorurteilsbehaftet? Wie können wir in unserer Servicestelle diverser werden?“
Aktuell arbeitet Janik gemeinsam mit der Diakonie Düsseldorf an einem Leuchtturmprojekt für Kitas. Welches Spielzeug, welche Bücher vermitteln den Kindern ein weltoffenes Bild? Wie kann Mehrsprachigkeit in den Gruppen gefördert werden, statt sie als vermeintliches „Integrationshemmnis“ abzustempeln? „Im Projekt geht es auch um die Kommunikation. Wie spreche ich über Vielfalt? Wie vermittele ich, dass Diversität ganz normal und eine Bereicherung ist?“, beschreibt die Anti-Rassismus-Expertin. Ziel sei es, einzelne Erzieherinnen und Erzieher zu sensibilisieren. Sie sollen ihr Wissen dann in die Kindertagesstätten tragen und Kolleginnen und Kollegen motivieren, mitzumachen. So soll ein Konzept entstehen, das auch in anderen Bereichen genutzt werden kann.
Kompetenzverbünde bilden
Wirkliche Veränderungen können die Servicestellen nur durch eine gesicherte langfristige Finanzierung erreichen. Drei Millionen Euro zusätzlich gibt es für die Anti-Rassismus-Arbeit pro Jahr vom Land NRW. Mit dem Geld werde besonders der Ausbau der Stellen vorangebracht. Die 42 einzelnen Servicestellen der Wohlfahrtspflege arbeiten in 13 Kompetenzverbünden zusammen. Dadurch entstehen Experten-Cluster unter anderem zu den Themen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, Antisemitismus und Diskriminierung von Menschen mit Behinderung.
„Diese Entwicklung der Expertise ist sehr wichtig. So können wir viel gezielter arbeiten und die Stärken der einzelnen Stellen nutzen“, erklärt Zacharaki. Auch die ländlichen Gebiete seien gut abgedeckt. „Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass die Servicestellen bekannter werden. Gemeinsam können wir unsere Gesellschaft verändern.“
Text: Ann-Kristin Herbst/ Diakonie RWL